Kolumne
Eins muss uns allen klar sein: Ein leistungsfähiger Kapitalmarkt ist eine wesentliche Voraussetzung, um künftige Herausforderungen wie die Digitalisierung und den Kampf gegen den Klimawandel zu stemmen. Ein solcher Kapitalmarkt ermöglicht die Finanzierung von Wachstum, Innovation und Beschäftigung in den Zukunftstechnologien. Wenn wir in der Weltwirtschaft weiter einen der vorderen Ränge belegen wollen – unser aller Wohlstand hängt davon ab – dann sollten wir dringend die Leistungsfähigkeit der hiesigen Kapitalmärkte stärken.
Es stimmt deshalb nachdenklich, dass die Zahl der börsennotierten Unternehmen im Regulierten Markt der Frankfurter Wertpapierbörse seit 2007 kontinuierlich sinkt. In den Jahren 2016 bis 2021 gab es 64 Börsengänge. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland damit weit abgeschlagen hinter Ländern wie den USA, China aber auch Schweden. Zudem haben sich viele deutsche Wachstumsunternehmen für ein IPO in den USA entschieden. Eine Ursache hierfür ist die zunehmende Bürokratie, die mit Börsengang und Börsennotiz verbunden sind. Hier muss ein Umsteuern erfolgen, damit Unternehmen die Börse rechtsicher und einfach nutzen können. Die EU-Kommission hat diesen Zusammenhang erkannt und versucht, mit dem EU Listing Act insbesondere für Wachstumsunternehmen den Weg an den Kapitalmarkt zu erleichtern. Dazu greift sie insbesondere drei Aspekte auf.
Prospekterstellung und Kapitalaufnahme erleichtern
Erstens soll das Prospektrecht reformiert werden, indem die Kapitalaufnahme und die Prospekterstellung erleichtert werden. Die EU Kommission adressiert dabei die richtigen Themen, wie Erleichterungen bei Folgeemissionen. Allerdings hält nicht alles, was auf den ersten Blick gut aussieht, einer genaueren Betrachtung stand. Ein Beispiel: Die Idee, bei verschiedenen Prospektformaten die Zahl der Seiten zu begrenzen, wirkt zunächst wie eine erhebliche Vereinfachung. Die Kehrseite ist allerdings, dass hieraus neue Haftungsrisiken für die Unternehmen resultieren können, wenn im Prospekt nicht alle relevanten Punkte in der erforderlichen Breite behandelt werden können. Statt die Seiten zu begrenzen, muss es deshalb darum gehen, die Inhalte haftungssicher zu reduzieren. Zudem ist der Vorschlag der EU-Kommission insgesamt zu stark auf Aktienemittenten zugeschnitten. Für Anleiheemittenten könnten bewährte Emissionsprogramme sogar erschwert werden.
Marktmissbrauchsverordnung praxisnäher machen
Zweitens soll die EU-Marktmissbrauchsverordnung handhabbarer, rechtsicherer und praxisnäher werden. Dazu sollen Vereinfachungen beim Führen von Insiderlisten und bei der Veröffentlichung von Aktiengeschäften des Managements Bürokratie abbauen. Hier ist die EU-Kommission auf einem guten Weg, hat aber noch Luft nach oben. Weiter soll die Ad-hoc-Publizität vereinfacht werden, indem Zwischenschritte in sogenannten gestreckten Sachverhalten von der Veröffentlichung ausgenommen werden. Auch hier ist der Ansatz richtig, die konkrete Regelung muss aber konsequenter in diese Richtung entwickelt werden, damit eine echte Entlastung eintritt und nicht neue Risiken für die Emittenten drohen.
Mehrstimmrechtsaktien einführen
Drittens soll insbesondere inhabergeführten Unternehmen der Börsengang schmackhaft gemacht werden. Gerade die Gründer von Wachstumsunternehmen zögern beim Börsengang aufgrund der Sorge, Entscheidungskompetenz über ihr Lebenswerk zu verlieren. Diese Sorge soll ihnen durch die Einführung von Mehrstimmrechtsaktien genommen werden, wie es sie zum Bespiel in den USA schon lange gibt. Damit hätten sie, je nach Stimmrechtsausgestaltung, auch bei weniger als der Hälfte des Aktienbesitzes noch die Mehrheit der Stimmrechte für wichtige Entscheidungen. Der Kommissionsvorschlag beschränkt die Möglichkeit zur Einführung von Mehrstimmrechten allerdings auf Unternehmen, die an KMU-Wachstumsmärkten notiert sind. Da viele Wachstumsunternehmen aber auch ein Listing in anderen Marktsegmenten anstreben, muss der Anwendungsbereich alle börsennotierten Unternehmen umfassen. Sollte es in der EU nicht dazu kommen, sollte der deutsche Gesetzgeber bei der nationalen Umsetzung der Richtlinie Mehrstimmrechtsaktien für alle börsennotierten Unternehmen einführen.
Der EU Listing Act befindet sich seit Dezember 2022 im gesetzgeberischen Verfahren. Ob eine Verabschiedung im Jahr 2023 gelingt, bleibt abzuwarten. Mitgliedstaaten, EU-Parlament und EU-Kommission sollten sich aber in jedem Fall ambitionierte Ziele setzen, damit mehr Unternehmen die Kapitalmärkte zur Finanzierung nutzen.
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