Kolumne
Auf der Suche nach Balance – Warum sich Deutschland mit dem Hinweisgeberschutz so schwertut
Am 10. Februar 2023 gab es einen Paukenschlag: Der Bundesrat lehnte das vom Bundestag beschlossene Gesetz zum Hinweisgeberschutz ab. Obwohl das Gesetz, das eine EU-Richtlinie umsetzt, seit Jahren diskutiert wird, scheiterte es am Veto der unionsgeführten Länder. Was ist passiert und wie geht es weiter?
Nach jahrelanger Diskussion um seine Ausgestaltung wurde das Hinweisgeberschutzgesetz im Dezember 2022 im Bundestag verabschiedet. Doch bereits im Februar 2023 – also nur wenige Wochen später – wurde es im Bundesrat (vorerst) gestoppt. Die unionsgeführten Länder stimmten gemeinsam mit dem grün-geführten Baden-Württemberg, wo die Union Juniorpartner ist, gegen den hart umkämpften Kompromissvorschlag von SPD, FDP und den Grünen. Als Hauptgrund für die Ablehnung nannte die Union die überbordenden bürokratischen Lasten, die mit dem Gesetz für kleinere und mittelständische Unternehmen verbunden seien.
Warum ist das mit dem Hinweisgeberschutz so kompliziert?
Das Hinweisgeberschutzgesetz soll sicherstellen, dass Hinweisgeber (Whistleblower), wenn sie Missstände und Verstöße gegen Gesetze melden, besser als bisher vor Repressalien geschützt werden. Mit dem Gesetz wird eine europäische Richtlinie aus dem Jahr 2019 umgesetzt. Unter den Ampelpartnern pochte die FDP auf eine Eins-zu-eins-Umsetzung der EU-Richtlinie. Diese Auffassung vertrat auch die Union im Bundesrat. Einer Eins-zu-eins-Umsetzung stand aber entgegen, dass die anderen Regierungsparteien über die Anforderungen der Richtlinie hinausgehen wollten.
Ein großes Streitthema zwischen den Ampelkoalitionären war der Anwendungsbereich: Die EU-Richtlinie bezieht sich auf Verstöße gegen EU-Rechtsbereiche wie etwa Produktsicherheit, Umweltsicherheit und Verbraucherschutz. Da jeder Mitgliedstaat Rechtsbereiche selbst definiert, sind diese selten deckungsgleich mit denen des EU-Rechts. Eine sinnvolle Übertragung ins nationale Recht stellte daher eine Herausforderung dar. SPD und Grüne bestanden auf einer Ausweitung des Anwendungsbereichs auf das gesamte deutsche Recht. Dies hätte zur Folge gehabt, dass beispielsweise schon das Melden eines bußgeldbewehrten Verstoßes, etwa Falschparken auf dem Firmengelände, zum vollständigen Hinweisgeberschutz der meldenden Person führen würde. Ein klares Missverhältnis zwischen Immunität der hinweisgebenden Person und dem verursachten Schaden würde entstehen. Letztendlich wurde auf den Einbezug in das gesamte deutsche Recht verzichtet.
Ein weiterer Streitpunkt war, ob Unternehmen verpflichtet werden sollen, auch anonymen Hinweisen nachgehen zu müssen. Das Gesetz sieht die Möglichkeit der anonymen Meldung von Rechtsverstößen vor, was die Union kritisiert. Die Praxis zeigt, dass sich anonyme Hinweisgeber meist bald zu erkennen geben, doch ist es für Unternehmen aufwendig, ein Hinweisgeberschutzsystem zu implementieren, das durchgängig Anonymität wahrt.
Diskutiert wurde auch, ob erst eine interne Meldung zu erfolgen habe, bevor der Hinweisgeber sich an Dritte wenden darf. Für Unternehmen ist es hilfreich, wenn der Hinweisgeber zuerst intern meldet, damit sie prüfen können, ob an der Meldung etwas dran ist. Interne Rechtsabteilungen kennen die Abläufe im Unternehmen und können so deutlich besser als externe Meldestellen die Meldungen überprüfen. Bei externen Meldungen besteht die Gefahr, dass die Reputation des Unternehmens vorschnell Schaden nimmt, ohne dass zuvor sichergestellt wird, dass die Meldung Hand und Fuß hat. Nach dem Gesetz kann jetzt der Hinweisgeber selbst entscheiden, ob er intern oder extern meldet.
Fazit
Der Hinweisgeberschutz ist ein Balanceakt. Auf der einen Seite dürfen hinweisgebende Personen keine Repressalien fürchten müssen, wenn sie Rechtsverletzungen melden. Auf der anderen Seite müssen Unternehmen vor ungerechtfertigten Beschuldigungen geschützt werden. Mit der Ablehnung im Bundesrat greift die Union viele der Argumente auf, die von der FDP bereits in den parlamentarischen Verhandlungen eingebracht und teilweise überstimmt wurden.
Statt den Vermittlungsausschuss anzurufen, um eine Einigung mit den Ländern zu erwirken, hat sich die Bundesregierung entschieden, das Gesetz in Einspruchsgesetz und Zustimmungsgesetz aufzuteilen, und so das Gesetzgebungsverfahren weiter voranzutreiben. Dieses Vorgehen stößt die Länder vor den Kopf, weil auf diese Weise der Bundesrat bei wichtigen Teilen des Gesetzes umgangen wird.
Die Gesetzgebung in Deutschland sollte jetzt zügig abgeschlossen werden, um den Unternehmen für die Ausgestaltung ihres Hinweisgeberschutz Rechtssicherheit zu geben. Während die größeren Unternehmen auf etablierten Hinweisgebersysteme aufbauen können, werden die kleineren Unternehmen mit den hohen bürokratischen Lasten und Mehrkosten zu kämpfen haben.
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