Kolumne
Mit Mehrstimmrechtsaktien den Börsengang für Gründer attraktiver machen
Die Zahl der Unternehmen, die in Deutschland an die Börse gehen, ist im Vergleich zu anderen wichtigen Industrienationen gering. Eine Stellschraube, um hier gegenzusteuern, ist die Einführung von Mehrstimmrechtsaktien. Damit würde die Furcht vieler Unternehmensgründer verringert, mit dem Börsengang die Kontrolle über ihr Unternehmen zu verlieren. In seinem Kolumnen-Beitrag beantwortet Dr. Norbert Kuhn, Leiter Unternehmensfinanzierung und stellvertretender Leiter Fachbereich Kapitalmärkte des Deutschen Aktieninstituts, die wichtigsten Fragen rund um das Thema Mehrstimmrechtsaktien.
Was sind Mehrstimmrechtsaktien?
Unternehmen mit Mehrstimmrechtsaktien haben mindestens zwei unterschiedliche Aktiengattungen: A Aktien, bei denen der Inhaber für jede Aktie ein Stimmrecht hat, und B Aktien mit jeweils mehreren Stimmrechten. Vor allem in den USA haben sich seit den 2000er Jahren Mehrstimmrechtsaktien etabliert. Knapp die Hälfte aller Tech-IPOs der Jahre 2021 und 2022 waren Unternehmen mit Mehrstimmrechtsaktien. Prominente Beispiele sind Airbnb mit einem Stimmgewicht von 20:1 oder Facebook mit einem Stimmgewicht von 10:1. In Deutschland wurden Mehrstimmrechtsaktien, die es bis dahin im Aktienrecht gab, im Jahr 1998 abgeschafft. Deutsche Unternehmen, die von den Vorteilen der Mehrstimmrechtsaktien profitieren möchten, müssen also eine ausländische Rechtsform wählen, bei der das möglich ist, etwa die niederländische Aktiengesellschaft. Ein Zusatzaufwand, der eingespart werden kann, wenn Mehrstimmrechtsaktien nach deutschem Recht möglich sind.
Welche Vorteile bieten Mehrstimmrechtsaktien?
Der Börsengang ist das ideale Finanzierungsinstrument für Wachstumsunternehmen. Gleichwohl schrecken viele Gründer oftmals davor zurück, weil mit dem Börsengang und dem Einstieg von Investoren ihr Anteil am Kapital des Unternehmens sinkt. Gründer verlieren die Mehrheit der Stimmrechte und damit den Einfluss auf die strategische Ausrichtung „ihres“ Unternehmens. Besitzen die Gründer dagegen Mehrstimmrechtsaktien, kann dies verhindert werden. So besitzt der Facebook-Gründer Mark Zuckerberg mit einem Aktienanteil von 28 Prozent des Grundkapitals 57 Prozent der Stimmrechte.
Gibt es Kritik?
Einige Investoren sehen Mehrstimmrechte mit Verweis auf das Prinzip „one share, one vote“ kritisch. Sie befürchten, dass sie das Management von Unternehmen mit Mehrstimmrechten nicht mehr effizient kontrollieren können und damit ihre Rechte als Eigentümer beschnitten werden. Allerdings lehnen nicht alle Vertreter der Investorenseite Mehrstimmrechtsaktien völlig ab. So akzeptiert beispielsweise der Stimmrechtsberater International Shareholder Service, dessen Abstimmungsempfehlungen zu Hauptversammlungen viele Investoren folgen, Mehrstimmrechtsaktien, wenn sie mit einem Verfallsdatum versehen sind. Dieses Verfallsdatum oder Sunset-Klausel legt fest, dass die Mehrstimmrechtsaktien nach einer bestimmten Zeitspanne, beispielsweise sieben Jahre, automatisch in „normale“ Aktien umgewandelt werden.
Wie können die Interessen der Gründer und der Investoren unter einen Hut gebracht werden?
Empirische Studien zeigen, dass Unternehmen mit Mehrstimmrechtsaktien nach der Börsennotiz ihren Wert überdurchschnittlich steigern können. Eine Erklärung dafür sind die Innnovationskraft, die strategische Vision und die Führungskraft der Gründer, die durch Mehrstimmrechtsaktien abgesichert sind. Dieser Vorteil schwindet im Zweifel jedoch je länger das Unternehmen an der Börse notiert ist.
Wird es zukünftig Mehrstimmrechtsaktien in Deutschland geben?
Die Europäische Kommission hat im Dezember 2022 im Rahmen des Listing Acts einen Gesetzentwurf zu Mehrstimmrechtsaktien vorgelegt. Ziel der Initiative ist eine Mindestharmonisierung der Regelungen zu Mehrstimmrechtsaktien in der EU, wie es sie in EU-Länder wie Schweden, Dänemark oder Irland gibt. Allerdings will die EU die Einführung von Mehrstimmrechtsaktien auf KMU-Wachstumsmärkte beschränken.
Neben dem europäischen Vorschlag gibt es auch einen entsprechenden Vorstoß des deutschen Gesetzgebers, der Mehrstimmrechtsaktien im Rahmen des als Referentenentwurf veröffentlichten Zukunftsfinanzierungsgesetzes einführen will. Der Referentenentwurf mit Regelungen zur Einführung von Mehrstimmrechtsaktien liegt nun vor.
Wie sollten eine Regelung zu Mehrstimmrechtsaktien aussehen?
Die EU will Mehrstimmrechtsaktien nur für Unternehmen einführen, die an bestimmten Börsensegmenten notiert sind. Besser wäre es, allen Unternehmen die Einführung von Mehrstimmrechtsaktien zu ermöglichen, wie es der Referentenentwurf des Zukunftsfinanzierungsgesetzes vorsieht. Alle Eigentümer des Unternehmens sollten dann aber nach einer bestimmten Zeit gleichberechtigt, also „one share, one vote“, darüber abstimmen können, ob Mehrstimmrechtsaktien weiterhin gerechtfertigt sind oder nicht. Im Sinne der Aktionärsdemokratie ist dies eine salomonische Lösung, die im Referentenentwurf des Zukunftsfinanzierungsgesetzes angelegt ist. Damit werden alle Eigentümerinteressen berücksichtigt, die der Gründer und die der anderen Investoren.
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